Das Wissen zu vermehren und den eigenen Kenntnisstand zu erweitern ist zweifelsohne eine gute Tugend. Deshalb denkt man sich wohl erst einmal nichts problematisches dabei, wenn man das Wort „Wissensjunkie“ liest. Schließlich ist intuitiv klar, dass ein solcher Mensch ständig nach der Aufnahme von Wissen strebt. Ich bin ein Wissensjunkie und viele Menschen in meinem sozialen Umfeld sind es vermutlich auch.
Die Wortwahl soll indes bewusst auch eine weitere Facette implizieren. Denn ein Junkie lebt in Abhängigkeit von seinem Konsum und kann diesen nicht im richtigen Maß dosieren. Er vermeidet, wo er nur kann, langanhaltende Phasen mit fehlender Möglichkeit des Konsumierens und verliert unter Umständen andere wichtige Aspekte des Lebens aus dem Blick. Ist also die Wortwahl „Junkie“ zutreffend, um meine Symptome zu beschreiben?
Okay, ich würde natürlich sagen, dass ich nicht süchtig nach Informationen bin und jederzeit darauf verzichten könnte, mich aus Nachrichten, Zeitschriften oder dem Internet zu informieren. Aber es würde mir schwerfallen und ich denke, dass sich nach ein paar Tagen eine Form von Entzug einstellen könnte. Schließlich bin ich es inzwischen gewohnt bei jedem meiner Schritte ein mobiles Multimediagerät mit mir zu führen, welches ich bei der geringsten Gelegenheit sofort benutze. Aber einen Moment bitte! Sagt nicht auch ein Raucher bzw. Spielsüchtiger, dass er jederzeit aufhören könnte, wenn er nur wollte!? Meine eigene Einschätzung der Situation könnte demnach trügerisch sein.
Also doch eine Form von Sucht!? Zwar keine körperliche (daher nicht so schlimm), aber eine mentale Abhängigkeit!? Oder nur eine Form geistigen Ausgleichs für einen wissensgetriebenen, aber thematisch fokussierten Job in der Forschung?
Zum Glück gibt es wirksame Gegenmittel für diese Form der Sucht: Tiefgründige Gespräche mit Freunden und stille Abende vor dem Kamin.
Doch selbst dabei muss man sich disziplinieren. Selbst in solchen Momenten ertappe ich mich und meine Bekannten, wie wir an bestimmten Punkten des Diskurses auf das Internet zurückgreifen, etwas bei google oder Wikipedia nachschlagen. Besonders Wikipedia ist eine große Verführung. Denn seit Sokrates ist uns bewusst, dass wir kaum etwas wissen und Wikipedia nimmt uns bei der Hand und lädt ein, ohne Unterlass neues zu entdecken. Als Wissenschaftler besitzt man eine besondere Affinität dazu.
Inzwischen liebe ich es wieder Leute nach Ländern, Flüssen oder geschichtlichen Ereignissen zu fragen, obwohl ich gerade Zugang zum Internet habe und es schnell selbst googlen könnte. Denn ich wertschätze diese alte Form des offline Dialogs mit dem Mut zur Lücke. Wie wunderbar kann es zur Abwechslung sein, einmal etwas nicht wissen zu müssen!
Manchmal mache ich mir ernsthaft Sorgen darüber ein Wissensjunkie zu sein. Für mich bedeutet es, dass ich niemals abschalte. Es gibt allerhöchstens mal 3 Minuten, während derer ich es schaffe bloß zu sein, nichts zu tun und auch nicht nachzudenken, geschweige denn Informationen zu konsumieren. Selbst beim Sport rattert mein Kopf weiter. Dabei sind Phasen des absoluten Nichtstuns wichtig für den Organismus, um zu entschleunigen und das innere Gleichgewicht zu stärken. Hinzu kommt, dass Denken ein qualitativ zu bewertender Prozess ist. Und dabei wäre weniger häufig mehr. Es macht einen großen Unterschied, ob das Gehirn permanent auf Volllast arbeitet und sich ständig und in schneller Folge wechselnde Themen sucht (wie ein Junkie), oder gezielt an der Monotonie eines Gedankens festhält. Auch die Kreativität braucht den Freiraum im Kopf, um zu entstehen und sich entfalten zu können.
In meinem Bekanntenkreis geht es vielen Menschen ähnlich wie mir. Ich kann mir gut vorstellen, dass dies viele Akademiker betrifft und mit Sicherheit die meisten Menschen, die Blogs schreiben! 🙂 Das Phänomen der Internetsucht ist ja schon des längeren bekannt. Damit werden aber meist Computerspieler bezeichnet.
Unsere Eigenarten und Muster bei der Aufnahme von Information haben mit der Art und Weise wie wir lesen zu tun. So denke ich es mir. Menschen, die gerne Bücher lesen, sind es gewohnt ungewisse Momente auszuhalten, darauf zu vertrauen, dass sich die Dinge später im größeren Zusammenhang erklären werden. Wer hingegen viel online liest, würde stattdessen lieber einem Link folgen und kurzzeitig ein anderes Thema verfolgen, um später an der Stelle wieder weiter zu lesen. Alternativ sucht man eine neue Quelle, wenn der aktuell vorliegende Text (gefühlt) nicht schnell genug zum Punkt kommt. Welche Art des Lesens ist die bessere? Mir scheint die erste längerfristig besser zu sein, denn sie betont die Zusammenhänge mehr als die Details.
Und Wissen alleine ist natürlich längst nicht alles. Das weiß jeder Roboter nur zu gut! Erst gepaart mit unseren sinnlichen Erfahrungen, der wiederholten Auseinandersetzung mit der Sichtweise der Anderen auf die Dinge und einer erfüllten Biographie reift unser Wissen als unabdingbare Zutat zu einem Konzept von Lebensweisheit heran. Für dieses höhere Ziel qualifiziert sich nicht der Junkie, sondern der Informationsgourmet.
In diesem Sinne, viel Spaß bei Eurem persönlichen Erkenntnisgewinn. Und daran denken: immer mal wieder offline wandeln und auf die Bremse treten, auch wenn es schwerfällt. Mich würde interessieren, inwiefern Ihr Euch als Wissensjunkies bezeichnet und wie Ihr für Euch selbst darüber denkt!?
Mascha
März 29, 2012 at 7:57 pm
Also ich lese jeden Morgen viele Zeitungen…will wissen was aktuell passiert….das ist schon eine Art Sucht….und dann versuche ich auch Bücher zu lesen, die gerade angesagt sind….aber nicht immer 😉
Torsten
März 31, 2012 at 5:33 am
An deinen Ausführungen ist was dran.
Als sogenannter Wissensjunkie bin ich kaum noch in der Lage, ein normales Buch zu lesen.
Ich lege es jeweils nach zwei bis drei Seiten aus der Hand, weil mir die Links fehlen.
Bernd
März 31, 2012 at 10:51 am
Zunächst würde ich mir die Frage stellen, warum muss das, was ich im Netz mache, Kategorisiert werden? Junkie ist ein Begriff aus dem Drogenmillieu, der durch William S. Bourrughs Roman „Junky“ in den allgemeinen Sprachgebrauch eingegangen ist. Das sind alles Beschreibungen aus einer „analogen“ Welt. Wir versuchen also, unsere Netz-Tätigkeiten mit der Begrifflichkeit des „Nichtvirtuellen“ zu beschreiben. Das muss nicht falsch sein. Falsch könnten aber die Schlüsse sein, die wir aus unserem Nutzen, beziehungsweise unserer Anwendung des Internets ziehen. Der Begriff des Junkies bezieht sich auf eine ganz private/illegale Handlung. Der Junkie bestimmt mit dieser Handlung sein persönliches Leben. Der Internetnutzer entzieht sich aber dem persönlichen Bereich, indem er sein Verhalten mit anderen teilt. Es kommt eine soziale Komponente hinzu, während der richtige Junkie die Waage hin zum Asozialen bewegt. Die Möglichkeit des Miteinanders ist eine große Chance und kein fatale Einbahnstraße. Es ist letztlich eine Frage unseres Bewusstseins und in welche Richtung wir dieses Bewusstsein lenken. Es gibt einen wunderbares Angebot von Nicolaus von Kues über das Gute und das Böse in der Welt: „Gott hat das Böse nicht geschaffen, und deshalb ist es wertlos. Wohl aber schuf Gott die Möglichkeit, Böses zu tun. Diese Möglichkeit musste Gott in die Welt bringen, weil die Menschen sonst keine Entscheidungsfreiheit besäßen.“
Diese Entscheidungsfreiheit ist ja auch im netz gegeben. Sogar besonders, weil hier eine neue Welt entstanden ist. Diese Welt muss ja mit Leben erfüllt werden und nicht mit Nichtstun.
Grüße
Bernd
tinyentropy
März 31, 2012 at 6:44 pm
Hallo Bernd!
Stimmt, was Du sagst. Viele Dinge, die man so emsig tut, während man sich informiert, bewirken am Ende Positives (wie z.B. der kommunikative Austausch mit Anderen). Und das ist ein Unterschied zum Junkie, bei dem nichts Positives rumkommt, sondern der sich ins Abseits manövriert.
Aber machmal frage ich mich, wann es anfängt pathologisch zu werden. Wenn man sich den Kopf nur noch mit Infos zuknallt und kaum noch Momente eines entspannten, vollkommen sinnentleerten Geistes zulässt. 😉
Lieben Gruss, tinyentropy
Bernd
April 1, 2012 at 3:15 pm
Das hat sicher mehr mit einem selbst zu tun. Mit dem Internet nur insofern, dass man es nutzt. Die Disposition bringt man sicher mit. Ich sehe es eher entspannt, obwohl ich auch wahnsinnig viel Zeit im Internet verbringe. Als die Menschen damals vom Land in die Stadt zogen, weil die Industrialisierung begann, hatte man sicher keine Zeit darüber zu reflektieren, ob man in der Woche zu lange an einer Maschine stand. Die Möglichkeit zu reflektieren haben wir uns erst im Laufe der Jahrzehnte erarbeitet. Das ist ja ein Mehrwert, mit dem man bewusst umgehen sollte. So sehe ich das für mich jedenfalls. Letztlich dürfte das Internet eher ein disziplinäres Problem sein, zumindest so, wie Du es schilderst. Es weist als also auf einen selbst. In der Industrialisierung hatten die Leute diese Freiheit nicht. Ich war kürzlich im Textilmuseum in Augsburg, wo man alte Webstühle vorgeführt bekommt. Der Krach eines alten Webstuhles war elementar. In so einem Maschinenraum standen aber dreihundert solcher Klapperkisten! Die Arbeiter sind ohne Ohrenschutz herumgelaufen. Das kann man sich nicht vorstellen. Das muss ein Inferno gewesen sein! Jetzt überlege ich mir eben, wie viel Freiheit wir heute doch haben. Das ist enorm! Wir können bestimmen, wann die Kiste abgestellt wird. Und mit dieser Freiheit könnte man ja bewusst und verantwortungsvoll umgehen. Das müsste doch unsere Aufgabe sein. Wenn man aber jeden Gedanken, den man hat, zu Ende denken muss, dann ist das Internet durch ein super Herausforderung.