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Verfassungsschutz – Köpfe müssen rollen

30 Jun

Spätestens im letzten Februar kamen erste Gerüchte auf, dass der Thüringer Verfassungsschutz das NSU-Netzwerk nicht wirksam bekämpft, eventuell sogar unterstützt haben soll. Die Mordserie, welche sehr unglücklich als „Dönermorde“ bezeichnet wurde, hätte sich sonst wohl auch nicht über so lange Zeit hinziehen können.

Und nun das: Dem Verfassungsschutz wird vorgeworfen, wichtige Akten im Zuge der aufgenommenen Ermittlungen zur Aufklärung vernichtet zu haben. Ich sage, hier ist eindeutig die tolerierbare Grenze überschritten worden. Alle Personen, die ansatzweise mit der Aktenvernichtung in Verbindung zu bringen sind, (insbesondere all diejenigen, die für die Verwaltung der Akten zuständig waren) müssen zwingend wegen grober Verfehlungen im Amt unehrenhaft entlassen werden.

Auch wenn man in der jetzigen Situation, aufgrund mangelnder Beweislage, keine Anklage wegen Unterstützung der Nazis mehr erheben können sollte, sind die Vorgänge so ungeheuerlich, dass die Abteilung wegen gemeinsamen Versagens abgestraft gehört. Zumindest die Entscheidungsträger müssen disziplinarisch bestraft werden, um ein deutliches Zeichen zu setzen. Dies steht im gesellschaftlichen Interesse. Daneben muss die Aufklärung möglicher direkter Verwicklungen seitens Angestellter des Verfassungsschutzes weiter vorangetrieben werden.

Zum Hintergrund: Der Verfassungsschutz in einigen neuen Bundesländern steht ohnehin im Verdacht, mit Nazis sympathisiert zu haben. Ein Grund dafür ist die Situation nach dem Mauerfall, als die Stasi vom Volke abgeschafft wurde. In der Folgezeit herrschte eine allgemeine Ablehnung der Bevölkerung gegenüber einer neu entstehenden Sicherheitsbehörde. Um dem Volke die Notwendigkeit einer neuen Verfassungsschutzbehörde darstellen zu können, wurde von Seiten der Behörde mit Hilfe der Medien eine „große Gefahr von rechts“ heraufbeschworen. Tatsächlich zeigten sich zu dieser Zeit verschiedene Neonazigruppierungen. Dennoch sieht es so aus, dass damals ein falsches öffentliches Bild kolportiert werden sollte. In der rückwirkenden Betrachtung unterstellen Geschichtswissenschaftler den Behörden, dass sie selbst im rechtsradikalen Untergrund mitgemischt hatten, um medienwirksame Aktionen – wie das Beschmieren von Denkmalen mit rechtsradikalen Parolen – in den Fokus der öffentlichen Aufmerksamkeit zu rücken. Es ist durchaus anzunehmen, dass seit dieser Zeit Verwicklungen zwischen Staatsbehörde und Nazigruppierungen existieren. Diese müssen nun endgültig beleuchtet und restlos aufgeklärt werden. Es wäre wünschenswert, dass unsere Gesellschaft dies aktiv einfordert und sich nicht mit halbherzigen Ermittlungsergebnissen und Bauernopfern zufrieden gibt.

Unser Bundespräsident, Joachim Gauck, hat sich als Aufklärer der Stasiverbrechen verdient gemacht. Ich würde mir wünschen, dass er sich auch dieses Thema zu eigen macht.

 
18 Kommentare

Verfasst von - Juni 30, 2012 in Gesellschaft, Tiny's Gedanken

 

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18 Antworten zu “Verfassungsschutz – Köpfe müssen rollen

  1. marien86

    Juli 1, 2012 at 5:17 pm

    Hallo tinyentropy,

    mich würden die Quellen für deine Behauptung interessieren:
    „Dennoch sieht es so aus, dass damals ein falsches öffentliches Bild kolportiert werden sollte. In der rückwirkenden Betrachtung unterstellen Geschichtswissenschaftler den Behörden, dass sie selbst im rechtsradikalen Untergrund mitgemischt hatten, um medienwirksame Aktionen – wie das Beschmieren von Denkmalen mit rechtsradikalen Parolen – in den Fokus der öffentlichen Aufmerksamkeit zu rücken“

    Es gibt alle möglichen Wissenschaftler, die alles mögliche unterstellen. Ich will das aufgedeckte Fehlverhalten weder relativieren noch schönreden. Fakt ist, seit es sowas wie polizeiliche Behörden gibt, unterhalten diese „Argents provocateurs“. Das ist moralisch definitiv zweifelhaft, der Staat begibt sich in ein Graufeld zwischen Legalität und Illegalität. Eine Diskussion über Sinn und Reichweite dieser Personengruppen tut sicher Not.

    Nur, es stellt sich die Frage, ob man allen illegalen Aktivitäten mit legalen Gegenreaktionen bei kommen kann? Ich gebe dir Recht, dass staatliche Akteure gesetzwidrig gehandelt haben. Zum Glück entscheiden (letztendlich) Gerichte, wie gesetzwidriges Verhalten zu sanktionieren ist, und nicht wir Blogger.

    Die Behauptung, dass Sicherheitsbehörden die rechtsextreme Szene, zu ihren eigenen Gunsten, gefördert haben sollen, halte ich ich für etwas verschwörungstheoretisch. Ganz nach dem Motto: „wir schaffen eben selbst unsere Feinde, wenn wir keine mehr haben“

    Wie gesagt, ich hätte bitte die Quellenhinweise für die o. g. Behauptung.

    Gruß, David Marien

     
    • tinyentropy

      Juli 1, 2012 at 5:37 pm

      gerne. meine informationen stammen aus einer reportage der sendereihe „spiegel tv“. an den titel der folge kann ich mich nicht erinnern, es könnte aber teil der dreiteiligen reihe „rechtsradikale in der ddr“ gewesen sein.

      die dort angesprochenen fakten und vermutungen werden zum teil auch in diesem artikel diskutiert:

      http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-19916270.html

       
      • marien86

        Juli 1, 2012 at 6:52 pm

        tinyentropy,

        der von dir verlinkte Artikel bezieht sich auf die Stasi-Tätigkeiten vor 1989 (überflogen) Du stellst also einen Zusammenhang her zwischen der Arbeit der Stasi und der Arbeit der jetzigen Sicherheitsbehörden. Der Artikel selbst ist über zehn Jahre alt.

        Ich will hier (mangels Faktenlage) nicht gegen dich argumentieren. Aber bevor wir einer Behörde unterstellen, sie schaffe sich ihre virtuellen Feindbilder, sollte da mehr kommen. Es ist anzunehmen, dass nach der Wende viele Stasileute aus den Sicherheitsbehörden entfernt wurden. Diese wurden durch Beamte aus dem Westen ersetzt. Sicher wird es noch einige wenige Stasi-Leute dort gegeben haben, deren Einfluss halte ich aber begrenzt.

        Ein anderes Szenario scheint mir plausibler. Man wollte im Osten einen besseren Blick in die Szene haben und hat dafür ein paar Informanten bezahlt. Die Szene wusste von den Informanten, wie auch die Behörden, Doppelagenten eben, auf jeder Seite ein Bein. Die Behörden bekamen die nötigen Infos um auf höherer Ebene sagen zu können:
        “ Schaut mal, wir machen was gegen die Szene“, die Szene konnte über die Informanten selektierte Infos weitergeben, welche die Behörden verwerten konnten. Dazu kam seitens der Behörden, dass „nicht sehen wollen“ der NSU. Es kann nicht sein was nicht sein darf! Die NSU wurde von Teilen der Szene und der Informanten gedeckt und konnten machen was sie wollten. Unser klein-staatlicher Föderalismus tat sein übriges.

        Gut, wir haben einige Beamte die Akten vernichteten oder manipulierten. Eine Erklärung wäre das sie Inkompetenz und persönliches Fehlverhalten vertuschen wollten.

        Eine systematische Verzerrung des Nazipotentials gab es bei der Stasi sicher. Heute halte ich die Kleinstaaterei bei den Sicherheitsbehörden, das „Nicht-Wahrhaben-wollen“ der Behörden, sowie persönliche Inkompetenz/Fehlverhalten für ausschlaggebend.

        Wie gesagt, ich kann dies nicht durch Fakten beweisen. Wenn (überhaupt) die ganze Wahrheit ans Licht kommt, wissen wir mehr. Die Unterstellung, es gäbe systematische Verzerrungunen muss erstmal bewiesen werden. Und Spiegel-Recherchen sind nur ein Teilbeweis.

        Gruß, David Marien

         
      • tinyentropy

        Juli 2, 2012 at 10:01 am

        Ich zitiere aus dem Artikel:

        „In den stillen Tagen zwischen Weihnachten und Silvester 1989 fand eine politisch hoch willkommene Schändung des sowjetischen Ehrenmals in Berlin-Treptow statt. Mit der Sprühdose hatten unbekannte Täter auf acht Steinsarkophage und auf den Sockel der Krypta orthografisch nicht ganz korrekte Parolen antisowjetischen Inhalts geschrieben. In ungelenken Großbuchstaben war auf eines der Basreliefs geschmiert worden: „SPRENGT DAS LETZTE VÖLKERGEFÄNIS SPRENGT DIE UDSSR.“

        Ob die Aktion im direkten Auftrag des MfS geschah oder ob die alte Macht, wie weiland die Nazis nach dem Reichstagsbrand, nur die gute Gelegenheit nutzte, ist bis heute unklar. Schon damals fiel auf, dass sich im weiten Rund des sonst gut bewachten Ehrenhains kein wachsamer Volkspolizist aufhielt.

        Eine knappe Woche später, am 3. Januar 1990, versammelten sich zu abendlicher Stunde 250 000 meist junge Männer im Treptower Park und jubelten Gregor Gysi zu.

        In Sprechchören forderten sie angesichts der faschistischen Bedrohung einen Verfassungsschutz für die DDR. Die Formationen der Demonstranten wirkten merkwürdig diszipliniert, die Parolen eingeübt. Die im Fernsehen der DDR übertragene nächtliche Szenerie tat ein Übriges.“

        Es geht hier auch nicht um eine Schuldzuweisung, die zurück in diese Tage reicht. Ich möchte nur darauf hinweisen, dass es gut möglich ist, dass seit damals Verwicklungen zwischen Beamten des Verfassungsschutz und rechten Gruppierungen gibt. Fakt ist, dass es ungeheuerlich ist, was mit den Akten passiert ist und das der Verfassungsschutz bei der Prävention der Tatserie der NSU mehrfach sträflich versagt hat. Das ist Anlass genug, um die Strukturen der Behörde bis zurück zu ihrer Entstehung genauestens unter die Lupe zu nehmen.

         
  2. marien86

    Juli 1, 2012 at 5:29 pm

    Zusatz:
    „Unser Bundespräsident, Joachim Gauck, hat sich als Aufklärer der Stasiverbrechen verdient gemacht. Ich würde mir wünschen, dass er sich auch dieses Thema zu eigen macht.“

    Der Bundespräsident ist nicht Teil der (de-fakto) Exekutive. Es ist ihm gar nicht erlaubt, Akteneinsicht zu nehmen oder Weisungen zu erteilen. Es werden sicher Gelegenheiten genutzt werden, Fehlverhalten offen anzusprechen und zu kritisieren. Selbst wenn Gauck dies nicht täte, ist nicht (zwingend) sein Job jedes Staatsversagen zu thematisieren. Er setzt seine Agenda, wie er das möchte, dass ist der Sinn von Repräsentation.

    Es ist zwingend der Job der Exekutive, ihren Laden aufzuräumen. Es ist nicht der Job des höchsten Repräsentanten dies zu tun.

    Gruß, David Marien

     
  3. tinyentropy

    Juli 3, 2012 at 10:56 pm

    Update 1:

    Mit Verfassungsschutzpräsident Heinz Fromm stürzt der erste Behördenchef über die blamable Suche nach den Neonazi-Terroristen vom NSU.
    http://www.spiegel.de/politik/deutschland/fromm-will-mit-ruecktritt-ansehen-des-verfassungsschutzes-retten-a-842137.html

    Update 2:
    Die verpatzten Ermittlungen gegen die Neonazi-Terrorzelle kosten einen weiteren Geheimdienstchef den Posten: Thüringens Verfassungsschutz-Präsident muss gehen. Er habe nicht mehr das Vertrauen des Parlaments, heißt es in der Landesregierung.
    http://www.spiegel.de/politik/deutschland/praesident-des-thueringer-verfassungsschutzes-muss-gehen-a-842427.html

    Es steht noch die offizielle Anhörung desjenigen aus, der die Aktenvernichtung angeordnet / bewilligt haben soll.

     
  4. marien86

    Juli 5, 2012 at 2:54 pm

    Hallo tinetrophy,

    meine Antwort hat etwas auf sich warten lassen 🙂 Du schriebst:

    „Es geht hier auch nicht um eine Schuldzuweisung, die zurück in diese Tage reicht. Ich möchte nur darauf hinweisen, dass es gut möglich ist, dass seit damals Verwicklungen zwischen Beamten des Verfassungsschutz und rechten Gruppierungen gibt. Fakt ist, dass es ungeheuerlich ist, was mit den Akten passiert ist und das der Verfassungsschutz bei der Prävention der Tatserie der NSU mehrfach sträflich versagt hat. Das ist Anlass genug, um die Strukturen der Behörde bis zurück zu ihrer Entstehung genauestens unter die Lupe zu nehmen.“

    Möglich erscheint viel, was Menschen so anstellen. Ich möchte nur darauf hinweisen, dass nicht hinter jeder Fehlleistung, Katastrophe, was auch immer, ein groß organisierter Plan stehen muss.

    Alle staatlichen Strukturen sind kritisch zu hinterfragen und zu prüfen, unabhängig, um welche Strukturen es sich handelt. Klar ist, wenn durch bestimmte staatliche Strukturen Menschen zu Schaden kommen, sind diese zu reformieren oder abzuschaffen, je nachdem was sich als „bessere“ Lösung herausstellt.

    Die Argumentation, es könnte Verbindungen geben zwischen… ist gar nicht notwendig, um zu rechtfertigen, dass bestimmte staatliche Strukturen reformiert oder abgeschafft gehören. Es geht nicht darum was „gewesen sein könnte“ sondern was gewesen ist. Ein 20 Jahre alter Spiegel-Artikel zu Stasi Nazi-Geschichten und die eigenen Vermutungen zum zum Fehlverhalten dt. Behörden haben genau was miteinander zu tun?

    Ich finde, das sage ich in aller Öffentlichkeit und Deutlichkeit, dass der Verweis auf 20 Jahre alte Stasi Neonazigeschichten nicht in einen Zusammenhang gehören mit den jetzigen Ereignissen. Das ist Blödsinn. Auch wenn es hier und dort Gemeinsamkeiten geben sollte. Es sind zwei getrennte Ereignisse, die jeweils eigenständig bewertet gehören. Wenn ich Fehlverhalten kritisieren möchte dann kritisiere ich es, denn das Fehlverhalten „an sich“ ist kritikwürdig. Da muss ich nicht ein anderes Fehlverhalten einer anderen Gruppe als Rechtfertigung heranziehen.

    Gruß, David Marien

     
  5. Tinyentropy

    Juli 18, 2012 at 11:13 am

    Unglaublich, so viel Unfähigkeit in einer so wichtigen und mächtigen Behörde:

    http://www.spiegel.de/panorama/verfassungsschutz-vize-nocken-sagt-vor-untersuchungsausschuss-aus-a-844987.html

     
  6. tinyentropy

    Juli 25, 2012 at 1:05 am

    Hat die Aktenvernichtung vielleicht auch Konsequenzen für das NPD-Verbotsverfahren?

    http://tagesschau.de/inland/npdverbot138.html

     
  7. Brian

    November 1, 2012 at 6:25 pm

    Deutschland hat ein riesen Rassismusproblem:
    http://www.zeit.de/politik/deutschland/2012-11/nsu-aufklaerung-kritik

    Brian

     
  8. yt

    Dezember 19, 2012 at 6:53 pm

    Moin David Marien,

    es ist unsinnig Beweise zu verlangen.
    Wenn, rein hypothetisch angenommen, es jemand „Beweisen“ könnte, dann wäre doch wohl wahrscheinlich, dass dieser jemand sehr bald mit einer Badewanne voll Polonium aus einem Flugzeug stürzen würde.

    Mit amüsierten Grüßen,
    yt

     

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