Moral und Politik: Ein Thema, das mich – wir Ihr schon wisst – besonders interessiert. Dies war kürzlich Gegenstand im Philosophischen Radio des WDR5, auf dessen Seite man sich den Podcast runterladen bzw. anhören kann:
Das philosophische Radio mit Walter Reese-Schäfer über politische Ethik
Der Gast der Sendung, Prof. Dr. Walter Reese-Schäfer, ist Politikwissenschaftler und hat sich in einem Buch mit dem Thema auseinander gesetzt. Er vertritt die Meinung, dass Moralismus in der Politik keinen Platz habe und stattdessen einzig in den gesellschaftlichen Institutionen verankert sein müsste. Das heisst, ein Politiker sollte sich nicht von seinen Moralvorstellungen leiten lassen. Gleichzeitig müsse er sich aber bewusst sein, dass unmoralisches Verhalten seinerseits von den Institutionen abgestraft werden kann, etwa durch eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts, oder, indem der Politiker nicht wieder gewählt wird.
Meinen persönlichen Vorstellungen laufen diese Konzepte zuwider und so fiel es mir schwerer als sonst, mich für den diametral unterschiedlichen Ansatz offen zu zeigen. Einige Aspekte kann ich durchaus nachvollziehen. Natürlich muss ein Politiker in seinem Amt den Konsens, sowie den Fortschritt einer Gesellschaft im Blick haben und sich daher am Machbaren orientieren. Es bringt nichts, wenn er auf seinem subjektiven, moralischen Standpunkt trotzig beharrt. Aber für mich ist das keine Frage der Moral, sondern eine Frage von Toleranz und Kompromissfähigkeit.
Meines Erachtens nach bleibt ein Politiker auch im Amt ein Mensch und sollte sich daher an bestimmte moralische Grundsätze, wie etwa das Gemeinwohl, gebunden fühlen. Aber hört Euch das Gespräch selbst an und bildet Euch Eure eigene Meinung.
Noch etwas: Beim Zuhören fiel mir auf, dass ich mich viel stärker konzentrieren musste, als sonst. Dieses mal war ein passives Konsumieren nicht möglich, weil ich viel stärker mitdenken musste. Waren die zu meinem Bild gegensätzlichen Argumente überzeugend?
Wir alle tendieren dazu, uns für Problembereiche zu interessieren, zu denen wir uns schon eine Meinung gebildet haben. Dann aber ist die Gefahr gross, dass wir für den Fokus unserer Aufmerksamkeit unbewusst nur solche Ideen und Vorstellungen anderer Menschen selektieren und wahrnehmen, welche die eigene Meinung bestätigen. Das ist allerdings nicht besonders herausfordernd für das Gehirn. Viel spannender ist es, sich mit gegensätzlichen Meinungen auseinander zu setzen.
marien86
April 20, 2012 at 9:06 pm
Hallo tinyentropy,
wer definiert was „Gemeinwohl“ ist? Sollen alle bekommen was sie wollen (Kommunismus), sollen alle bekommen, was sie erwirtschaften (Kapitalismus)? Oder soll alles (mehr oder minder) verteilt werden was vorhanden ist? Das Problem ist: alle möglichen Politiker vertreten alle möglichen Moralvorstellungen. Nach innen funktionieren dann die real-politisch etablierten Mechanismen: Handel mit Diktatoren, Abdrängen von Konkurrenten…
Mir fällt hier ein hinkender Vergleich ein: das Ziel, dass es im Winter kein Glatteis mehr gibt, ist erstrebenswert aber nicht erreichbar. Die Kosten wären so hoch, dass man sich nach einiger Zeit davon lösen würde. Es etablieren sich Mechanismen der günstigsten Alternative: Streusalz werfen. Im Übrigen hat ja Jeder ein anderes Empfinden, was die maximal ertragbare Glätte ist.
Im Gespräch werden ja die Grenzen der „Ehrlichkeit“, auch im taktischen Kalkül aufgezeigt. (Wenn Fr. Merkel sagt GR geht pleite, geht es pleite -> Self-fulfilling prophecy) Im Gespräch wurde auch die Suche nach Mehrheiten thematisiert, die zu einer Demoralisierung führt. Starke moralische Positionen werden im Konsens abgeschliffen, damit Minimalfortschritt möglich wird. Dem gegenüber liefert die Wissenschaft Erkenntnisse, die von der Politik als Munition gegen den Gegner verwendet werden.
Ich fand die Thesen des Prof. gut begründet. Es ist ja nicht ohne Grund, dass Hobbes und Machiavelli bis heute zitiert werden.
Gruß, David Marien
tinyentropy
April 21, 2012 at 11:13 am
Hallo Marien,
ich danke Dir für Deinen tiefgründigen Kommentar, der mich noch einmal sehr nachdenklich gemacht hat.
Gruss
marien86
April 28, 2012 at 5:03 pm
Hallo tinyentropy,
entschuldige, dass ich erst jetzt melde, ich war zu beschäftigt. Weißt du noch über was du nachgedacht hast, als du meinen Kommentar gelesen hast? Du hast im Artikel ja die Ansicht geäußert, Politik benötige ein Mindestmaß an Moral. Im Gespräch mit dem Prof. wurde ja gut herausgearbeitet, dass in realita Moral in der Politik sehr schwer durchzuhalten ist. Deswegen sollte sie auch nicht als Maßstab herangezogen werden.
Bist du immer noch dieser Auffassung oder hat die Argumentation etwas „bewirkt“?
Du kannst mich gerne mit meinem Vornamen anreden, wenn ich mit meinen Hinternamen gedutzt werde, bin ich etwas irritiert. 🙂
Gruß, David Marien