Ist die Scharia-Polizei in Wuppertal ein gesellschaftliches Problem, oder der Aufregung nicht wert, wie es Jakob Augstein dem Sinn nach in einem Spiegel-Artikel schrieb? In dem verlinkten Leserbrief bezieht eine muslimische Journalistin dazu Stellung und erhielt Antwort von Hr. Augstein. Darin heißt es unter anderem: “Aber Sie haben natürlich recht: Für wen schreibe ich das und von welchem Standpunkt aus. „Check your privilege“, sagt man im Amerikanischen. Ich schreibe natürlich für eine autochthone, hauptsächlich weiße, bürgerliche Leserschaft, die sich darüber Gedanken machen muss, wie sie die offene Gesellschaft am Leben erhält. Und das eigene Ressentiment, die Vorurteile gegen Ausländer, gegen andere Religionen sind ein alter Feind der offenen Gesellschaft.“
Diese Aussage finde ich erbärmlich. In seiner Funktion als Journalist des Spiegels erwarte ich mir von Hr. Augstein ein anderes Selbstverständnis von sich und seiner Leserschaft. Es ist nachvollziehbar, dass Hr. Augstein seine Artikel für die bürgerliche Mitte schreibt. Aber diese als hauptsächlich weiß zu charakterisieren finde ich in diesem Zusammenhang seltsam. Es geht hier nicht um die Hautfarbe, sondern um die religiöse Zugehörigkeit. Und abgesehen davon finde ich auch, dass wir unsere Gesellschaft als heterogen bezeichnen sollten.
“Ich schreibe natürlich für eine autochthone, hauptsächlich weiße, bürgerliche Leserschaft… “. Schlimm genug, möchte man entgegnen! Doch sollte man auch hinterfragen, ob Hr. Augstein mit diesen Worten seine persönliche Motivation als Autor oder seine am wahrscheinlichsten anzunehmende Leserschaft charakterisieren möchte. Wie auch immer. Ich möchte für Deutschland hoffen, dass dies eine inkorrekte Beschreibung der deutschen bürgerlichen Mitte darstellt. Ich stelle mir sie bunt gemixt vor und würde mir zumindest wünschen, dass sich ein Spiegel-Autor beim Schreiben an eine heterogene Gesellschaft wendet. Leider bleibt an dieser Stelle unklar, wie Hr. Augstein es gemeint hat. Und dies führt mich zum letzten großen Kritikpunkt. Die Antwort auf die in dem Leserbrief geschilderten persönlichen Erfahrungen wirkt auf mich oberflächlich und unsensibel. Die darin ausgeführten Aussagen sind wenig einfühlend und können überdies sehr leicht als diskriminierend ausgelegt werden, weil sie einen erheblichen Teil von Bürgern nicht mit einbeziehen.
Maximilian
September 24, 2014 at 8:15 pm
Gerade von einem Journalisten eines angesehenen Magazins erwartet man mehr Feingefühl und empathisches Verständnis hinsichtlich der Wortwahl. Aufgrund der Kritik am ersten Artikel hätte er besonders viel schriftstellerisches Fingerspitzengefühl beweisen müssen, um sich wieder ins rechte Licht zu rücken. Aber anscheinend wird die „Mittelschicht“ selbst von kritischen Journalisten immer noch als einheitliche Masse ohne Diversitäten in puncto Religion, Kultur und Herkunfstland angesehen. Die Mittelschicht scheint laut diesem Weltbild mit der Vorstellung der homogenen, einheitlichen Bevölkerungsgruppe übereinzustimmen.