Unsere Zivilisation hat sich aus einer Stammesgesellschaft herausgebildet und dieser Ursprung macht sich auch heute noch in vielen Aspekten bemerkbar. Man kann sicher sagen, dass der Mensch prinzipiell egoistisch agiert und nur in begrenztem Maße auch die Belange anderer Menschen ins Kalkül zieht. Die Gruppe der von uns wie automatisch berücksichtigen Mitmenschen ist tendenziell klein und man kann sie sich als den Umkreis der Familienangehörigen und engsten Freunde vorstellen. Dies ist der von uns selbst als solcher definierte Stamm, dem wir uns zugehörig fühlen.
Diese Beobachtung und ihre Interpretation sind sicher für keinen meiner Leser neu. Auch wird es nicht überraschen, dass unsere Vorstellung von der Gesellschaft eine natürliche Ausweitung dieses Konzepts darstellt. Wir definieren unsere Stammeszugehörigkeit über unsere Nationalität. Und an diesem Punkt möchte ich einhaken. Denn es lohnt sich bewusst zu machen, welche Privilegien wir aufgrund dieses gemeinhin akzeptierten Konzepts genießen.
Als deutsche Staatsangehörige bekommen wir nämlich eine individuelle, unantastbare Würde zugestanden, die wir auch praktisch einfordern können. Denn was nützte uns dieses anerkannte Menschenrecht, wenn wir keinen starken Fürstreiter an unserer Seite hätten, der sich für uns einsetzt. Als Beispiel möchte ich die Lampedusa-Flüchtlinge nennen, um deren individuelles Schicksal sich keiner kümmert. Höchstens als Teil einer Maße von Menschen werden sie wahrgenommen.
Als deutscher Staatsangehöriger wird man bei Problemen im Ausland von der Botschaft unterstützt. Bei Entführungen im Ausland gibt der Staat auch nicht so schnell auf und sagt erfreulicherweise nicht: tja, das ist jetzt nicht mehr unser Problem. Wir genießen ein Anrecht auf eine gute Krankenfürsorge, saubere Luft, eine Privatsphäre und tausend andere Dinge.
Bei erstaunlich vielen Dingen berücksichtigen der Bund, die Länder und Gemeinden die Einzelinteressen einiger weniger Bürger, obwohl man sagen könnte, dass man diese auch einfach ignorieren könnte. Dass man es trotzdem nicht tut liegt an den Gesetzen, auf die wir uns alle miteinander geeinigt haben. Dies ist eine immense Errungenschaft.
Um das vollends zu begreifen, muss man sich, wenig überraschend, die Lage der nicht privilegierten Menschen anschauen. Nur deshalb bin ich auf dieses Thema zu sprechen gekommen. Ein Beispiel: In Deutschland möchte man sich aus dem Steinkohleabbau verabschieden, weil der Abbau zu sozial verträglichen Bedingungen unrentabel geworden ist. Stattdessen wird die benötigte Kohle nun zu einem Bruchteil der Kosten aus anderen Ländern importiert. Das bedeutet, dass die Probleme externalisiert, also ins Ausland verlagert, werden. Darauf angesprochen kontern die politisch Verantwortlichen mit der Rechtfertigung, dass sie unmöglich die Verantwortung für die Bedingungen in fremden Ländern übernehmen könnten. Da würden ihnen auch sicher viele Menschen hier in Deutschland recht geben. Dennoch ist es falsch. Wir tragen als Einkäufer dieser Waren eine Mitschuld, denn wir wissen ja nur zu gut, was die wahren Kosten für Mensch und Umwelt sind.
Was hier und in vielen vergleichbaren Situationen geschieht lässt sich ganz einfach erklären. Wir schließen die Menschen außerhalb unseres Stammes aus unserer Fürsorgepflicht aus. Nicht nur unsere Politiker, wir alle tun das irgendwie. Dieses Verhalten mag wie beschrieben ur-menschlich sein, aber moralisch hinnehmbar ist es nicht. Wir glauben doch sonst an unsere Fortschrittlichkeit. Wollen wir uns also wirklich an dieser Stelle mit unserer Urgeschichte herausreden?
Veröffentlicht von meinem Smartphone aus.
2 Antworten zu “Privilegiert”