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„Eure Armut kotzt mich an“

17 Okt

Kennt Ihr diesen Ausspruch? Ich habe ihn erst kürzlich wieder irgendwo gehört und es hat mich abgestoßen.

Heute musste ich wieder unwillkürlich daran denken und das sage ich mit einer gewissen Scham. Es passierte mir auf meinem Weg zum Supermarkt.

Am Eingang unseres Supermarkts haben sich zwei offensichtlich bedürftige Menschen positioniert, jeweils zu Beginn und am Ende eines Korridores, der die Besucher in den Supermarkt hinein führt.

Zuerst begegnet man einer Frau, die fast den ganzen Tag über auf Knien und mit aufgehaltener Hand dort sitzt. Sie ist nicht aus Deutschland, wie es scheint, und macht einen sehr netten Eindruck. Wir grüßen uns immer.

Am Ende des Korridores steht ein „Fifty-Fifty“ Verkäufer. Solltet Ihr nicht wissen, was das ist, es handelt sich um eine Zeitschrift, die von Obdachlosen geschrieben wird. Der Verkäufer erhält einen Anteil am Verkaufspreis. Eine wirklich gute Sache, die allerdings nicht mehr so gut läuft, seitdem die Menschen sehr viel online lesen und kaum noch Zeitungen kaufen. Deshalb stecken viele Passanten ihm das Geld einfach zu. Der Mann ist schon etwas älter, mit grauem Bart und sehr freundlichem Gesicht. Ich schätze ihn auf Mitte Sechzig. Mit ihm habe ich mich schon mal unterhalten und war verblüfft, wie viel er zu erzählen hatte. Insbesondere wie gut er sich mit dem Thema Volkswirtschaft und dem Finanzwesen allgemein auskennt. Allerdings verwickelte er mich sehr lange in das Gespräch und erzählte mir vieles, wonach ich nicht gefragt hatte.

Worauf will ich aber hinaus? Es geht mir darum, dass ich mich bei dem Gedanken ertappt habe, dass es mich nervt an jedem Abend auf dem Weg in den Supermarkt hinein und wieder hinaus an den beiden vorbeigehen zu müssen. Dies erschreckt mich selbst. Aber vielleicht ist es normal?

Ich gebe den beiden immer gerne etwas. Ich fühle mich schlecht, wenn ich einfach an ihnen vorbeigehe. Mir geht es im Vergleich zu ihnen wirklich gut. Doch auch ich muss mit dem Geld haushalten. Wenn ich täglich einen Euro abgebe, dann summiert sich das im Monat auf einen Betrag, den ich auch bemerke, wenn er mir fehlt.

Das Witzige ist, dass das „Problem“ ja nur in meinem Kopf existiert, denn tatsächlich erwarten die beiden ja nichts speziell von mir.

Es ärgert mich auch manchmal, dass es in unserer Gesellschaft keine bessere Verwendung für zwei nette Menschen gibt. Mit Verwendung meine ich Chancen einer geregelten Arbeit nachzugehen. Die genauen Gründe dafür kenne ich bei beiden nicht. Aber es macht traurig. Vielleicht auch etwas wütend, denn ich denke mir, dass die Frau doch sicher mehr machen könnte als so passiv dort zu sitzen. Aber das ist natürlich voreilig, denn sie wird ihre Gründe haben, sich so etwas wie das stundenlange Knien anzutun. Man kann es drehen wie man will. So etwas sollte in unserer reichen Gesellschaft unnötig sein.

Den Titel habe ich bewusst gewählt, um zu provozieren. Natürlich kotzt mich nicht die Armut an, sondern die gesellschaftlichen Umstände, die dazu führen, dass Menschen sich nicht das einfachste Leben leisten können.

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3 Kommentare

Verfasst von - Oktober 17, 2013 in Gesellschaft

 

Schlagwörter:

3 Antworten zu “„Eure Armut kotzt mich an“

  1. ulrike zimmermann-mechentel

    Oktober 17, 2013 at 11:12 pm

    Nun, was soll ich dir antworten? Hier in Deutschland hat jeder mindestens so viel, dass er würdig leben kann. Eine Wohnung, Wasser, Heizung, Geld fürs tägliche, Extrageld für notwendige Artikel wie Fernseher, Waschmaschiene, Herd, Kühlschrank, Bett, Bettzeug, Handtücher, Kleidung für Winter und Sommer und und und.
    Woher ich das weiss? Ich habe mal als Studentin ein Urlaubssemester einlegen müssen und musste auf die Sozialhilfe zugreifen. Es mangelte mir an nichts. Natürlich konnte ich mir nicht jeden Tag Pommes am Stand leisten, aber ich hatte alles was ich zum Leben brauchte.
    Natürlich hatte ich kein Geld für ein Laptop oder für eine Videokamera, aber ich hatte einen Fernseher und konnte mir zu bestimmten Gelegenheiten auch mal eine Videokamera mieten.
    Was ich damit sagen will ist folgendes: Dieser Staat hilft jedem Menschen, der sich helfen lassen möchte. Wenn man in der Arbeitslosigkeit ist und keine Anstellung findet oder finden will, bekommt man eine Unterstützung um sich selbständigt zu machen. Ist man zu krank um zu arbeiten, bekommt man eine Rehamaßnahme genehmigt. Findet man in seinem Job nix, kann man eine Umschulung in Anspruch nehmen.
    Hilft all das nicht, ist man immer noch in der Lage, wenn man es will, ehrenamtlich was zu tun. So könnte man zum Beispiel das Geld das man vom Sozialamt bekommt, als Lohn sehen und seinen Mitbürgern dafür helfen. Jetzt kommst du mir bestimmt mit Westerwelle und dem Schneeschippen, aber im Grunde ist da doch nichts bei. Oder?
    Die Dame am Supermarkt, die eventuell nicht aus Deutschland ist, muss bei irgendeinem Amt für das Betteln einen Schein beantragen. Der kostet ja auch Geld und erlaubt ihr dort zu sitzen.
    Was glaubst du, was diese Dame mit diesem „Job“ verdient? Du würdest dich wundern, würdest du den Umsatz am Ende eines Monats sehen….
    Ich will damit sagen, dass diese Menschen genau wissen, was sie tun und sich dieses Dasein ausgewählt haben. Denn sie verdienen sich damit was zu ihrer Grundsicherung dazu und zwar nicht wenig. Du darfst nicht vergessen, dass sie immer ein bezahltes Dach über dem Kopf haben und genug Essen und Trinken. Oder sieht die Dame und der Herr von denen du sprichts etwa abgemagert und sehr krank aus? Nein,sie sind gut genährt und sind sogar Krankenversichert.
    Hier in Deutschland, müssen dir diese Menschen nicht Leid tun. Du musst darauf achten, dass du nicht zuviel Geld für sie ausgiebst ;.))

     
  2. yt

    Oktober 18, 2013 at 8:04 am

    Ich kann mich meiner Vorrednerin anschließen. Ich habe ähnliches erlebt. Wer Hilfe annehmen kann, dem wird auch geholfen.
    Das jemand das nicht gelernt hat ist durchaus auch ein gesellschaftliches Problem, aber eben auch eines, bei dem der Hilfebedürftige willens sein muss – zu lernen, Hilfe anzunehmen.
    Eine „Grundsicherung“ fände ich eine gute Teil-Lösung, um zumindest die Menschenwürde zu wahren, nicht vor Sacharbeitern auf den Knien rutschen zu müssen (sinnbildlich).

    @Tiny… , ich denke du nimmst das zu persönlich. Du hast kein Problem.
    Sei dankbar für dein Leben, so wie es ist. So lange es so ist wie es ist.

    Mit vereinfachten Grüßen,
    yt

     
  3. Joachim

    Oktober 18, 2013 at 12:41 pm

    Auch vor unserm Aldimarkt steht dauernd so ein Fifty/Fifty Verkäufer rum. Der baggert einen zwar nicht an, denn das darf er nicht, aber er pfeift und singt derartig aufdringlich, wie es wohl nur ein Italiener kann. Nichts gegen Pizza.
    Auch ich habe mich schon dabei erwischt, wie ich in Erwartung dieses permanent grinsenden und gut gelaunten Sales Managers genervt einen anderen Ausgang nehme, um ihm nicht zu begegnen. Ich empfinde gerade die Tatsache seines nicht direkten Bettelns als besonders penetrant und aufdringlich. Dabei war das von einem Düsseldorfer Mönch entwickelte System Fifty/Fifty grundsätzlich sicher gut gemeint. Es sollten zwei Fliegen mit einer Klappe geschlagen werden:

    Der nicht direkt Bettelnde verdingt sich als Zeitungsverkäufer und bewahrt damit seine Würde,
    Und außerdem bringt er die News aus der Obdachlosenszene an den Mann oder die Frau.
    So weit in der Theorie.
    Wahrgenommen werden die Verkäufer der Zeitung aber mitnichten als solche. Sondern als das, was sie sind: Bettelnde mit Zeitung, die an das schlechte Gewissen des Passanten appellieren sollen. Die News aus der Opdachlosenszene interessieren keinen Menschen, weshalb man den „armen Teufeln“ auch die Zeitung belässt, und ihnen trotzdem etwas zusteckt. Schließlich entlastet das unser Gewissen.

    Joachim

     

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