Seit der Wende sind mehr als 20 Jahre vergangen. Anlässlich der Jubiläumsfeier zum 20. Tag der Deutschen Einheit kam es zwischen mir und Freunden, die ihre ersten Lebensjahre noch in der DDR verbracht hatten, zu einer hitzigen Diskussion.
Der Auslöser dafür ist gewesen, dass wir den Abend des 3. Oktobers 2010 zusammen verbracht hatten und ich später von meinem Vater gefragt wurde, wie mir die Feierlichkeiten (es waren viele ausländische Staatsgäste nach Deutschland gereist) gefallen hätten. Erst in diesem Moment fiel mir auf, dass das am Tisch an diesem Abend kein Thema war. Die Tischrunde bestand aus 3 ehemaligen ‚Ossis‘ und mir als ehemaligem ‚Wessi‘. Als ich meine Freunde darauf ansprach und meinte, „es sei erstaunlich, dass gerade in dieser Runde das kein Thema gewesen sei“ hatte ich den Stein des Anstosses ins Rollen gebracht. Meine Freunde empörten sich, dass ich bei ihnen, als ehemailgen ‚Ossis‘, offenbar so etwas wie eine „Pflicht zum Feiern“ unterstellen würde. Ich glaube, sie vermuteten sogar eine „Pflicht zur Dankbarkeit“ dahinter, sozusagen aufgrund der Befreiung von der diktatorischen DDR-Regierung.
Aber da hatten sie mich missverstanden. Das sehe ich nämlich überhaupt nicht so. Es ging mir bei meiner Aussage darum, dass sie zur DDR als ihrer Heimat / dem Land ihrer Geburt einen besonderen autobiographischen Bezug haben müssten. Daraus folgt natürlich keine „Pflicht zur Erinnerung“, das ist klar. Aber es ist eben seltsam, wenn man mitbekommt, dass dieser autobiographische Anknüpfpunkt bei einem solchen geschichtlichen Ereignis keine Rolle zu spielen scheint. Irgendwie vermutete ich damals schon, dass sie alle das Thema ignorierten.
Seitdem habe ich es – wie ich zu meiner Schande gestehen muss – gänzlich an Feinfühligkeit vermissen lassen. Ich ging dazu über Bananenwitze zu machen und mich immer öfter abfällig über die DDR zu äussern. Mir ist selbst nicht mehr klar, warum ich das gemacht habe. Fest steht nur, dass ich – wie ich jetzt erfuhr – die Anderen damit verletzt habe. Eigentlich liegt das auf der Hand. Ich brauche nicht überrascht zu tun. Aber ich will sagen, dass ich mir auch nicht viel dabei gedacht hatte. Letztendlich machten meine Freunde den Eindruck, dass sie mit dem Thema DDR abgeschlossen hätten und man somit gemeinsam solche Spässe auf die lockere Schulter nehmen könne. Oder ich wollte provozieren und das Thema damit in unserer Gruppe wachhalten. Vielleicht hatte ich auch Spass beim Provozieren. Für diesen Aspekt möchte ich mich besonders entschuldigen, denn jetzt weiss ich, dass diese in meinen Augen harmlosen Witzchen Wirkung hinterlassen haben. Ich habe damit verletzt. Und ich bin froh, dass wir in unserem Freundeskreis letztendlich darüber gesprochen haben und ich dadurch etwas dazu lernen konnte.
Als ‚Wessi‘ macht man sich nicht klar, dass die Zeit nach der Wende für viele Menschen aus der DDR mit Demütigungen verbunden war. Ihnen wurde systematisch der Stempel aufgedrückt aus einem gescheiterten Staatssystem zu kommen. Scheinbar jeder Aspekt des damaligen Lebens in der DDR wurde unter Generalverdacht gestellt. Das galt auch für die wissenschaftlichen, gesellschaftlichen, unternehmerischen Leistungen von den Menschen in der DDR. Und dadurch wurden die Menschen oft entwertet. So weit, dass sie sich selbst in Frage stellen mussten. Wenn man sich ständig rechtfertigen muss und unterschwellig unterstellt bekommt, dass man an ein ineffizientes System geglaubt hatte und nur dieses gewöhnt sei, erzeugt das sicherlich eine Menge Druck und Frust. Dies sind alles Aspekte, die meine Freunde (aufgrund ihres jungen Alters) kaum betreffen. Dafür aber ihre Familien, besonders die Grosseltern.
Meine Erinnerungen an die Wende sind noch frisch. Für mich ist es ein Ereignis in meiner Jugend und somit wirkt es noch nicht so lange her. Aber ich hatte auch keine besonderen Erlebnisse diesbezüglich nach der Wendezeit. Das Leben ging ganz normal weiter. Für meine Kollegen ist das sicher anders. Aus ihrer Sicht liegt es schon lange zurück und seitdem ist vieles passiert. Und einiges davon war offensichtlich unangenehm für sie oder ihre Familien.
In diesem Zusammenhang sind die berühmten Bananenwitze die Tropfen, die das Fass zum Überlaufen bringen. Da ich in Bielefeld studiert habe, kann ich mir das sogar recht gut vorstellen. Immer wenn ich sage, dass ich in Bielefeld studiert habe, kommt als Antwort: Bielefeld gibt es doch gar nicht. Beim ersten mal lacht man noch darüber. Beim zweiten mal wundert man sich schon, dass das Gegenüber sich wohl nicht bewusst ist, dass der Witz uralt ist. Beim 100. mal fängt es an einen zu nerven und danach kann man es nicht mehr hören und distanziert sich von dieser Art von billigem Humor und eventuell auch den Menschen, die ihn zelebrieren. Auf diese Weise sind es die scheinbar harmlosen Witzchen, die einen am meisten ärgern. Denn man vermutet dahinter ein mangelndes, echtes Interesse an dem Thema. In meinem Fall daran, dass ich dort studiert habe. Die Parallele geht nocht weiter. Es bleibt das Gefühl als sei es nichts wert einen Abschluss aus Bielefeld bzw. der DDR zu haben.
Dabei muss ich sagen, dass ich sogar sehr an der Geschichte der DDR interessiert bin. Ich begreife sie als einen wichtigen Teil der jüngeren gesamtdeutschen Geschichte. Es ist nun mal so, dass in der DDR Propaganda und die Staatssicherheit traurige Realität waren. Deshalb sollten wir alle die Erinnerung daran wach halten, damit wir in Zukunft ähnliche Bestrebungen unseres Staates erkennen und gemeinsam verhindern können. Aber es geht ja nicht nur um die negativen Aspekte der DDR-Geschichte.
Den Deutschen sagt man nach, dass sie nie ihre Revolution hatten, diesen Befreiungsschlag wie ihn die Franzosen gegen die absolutistische Herrschaft erzielten. Es gab einige Revolten wie die Bauernkriege oder am Ende des 1. Weltkriegs. Aber beide nahmen kein gutes Ende.
Als aber manche DDR-Bürger mit den Worten „Wir sind das Volk“ auf die Strassen zogen führte das zu einer Entwicklung mit positivem Ende und es ist ein historischer Erfolg, den man – wie ich finde – durchaus an einem Festtag wie dem 20. Jahrestag der Deutschen Einheit feiern kann und sollte.
Nesselsetzer
März 8, 2013 at 1:31 pm
Letztendlich ist jede persönliche Betroffenheit bspw. durch DDR-, Bananen-, Polen-, Österreicher- oder Deutschenwitze, solange sie nicht unter die Gürtellinie gehen, auch nicht anders zu bewerten als die verletzten Gefühle durch Witze über die Kirche oder den Glauben, wofür manche wie in jüngster Zeit gar einen gesetzlichen Schutz verlangen. Doch nicht nur da sind solche Anwandlungen lediglich überflüssiges Wehleidsgeschrei, denn alle, nicht nur Religiöse können oder dürfen Zielscheibe des Spotts sein, den sie meinetwegen mit oder ohne verletzten Gefühlen ertragen müssen. Daraus auf fehlende Feinfühligkeit zu schließen halte ich für verfehlt, aber es fehlt in jedem Falle Seriosität bei demjenigen, dem dieser Witz gilt, wenn er aufgrund solcher Witze den Beleidigten spielt.
tinyentropy
Juni 3, 2015 at 8:35 am
Hat dies auf Tinyentropy's Blog rebloggt.
Viktor Koss
Juni 3, 2015 at 9:55 am
Die historische Bedeutung und alle Konsequenzen politischer Großereignisse haben sehr oft nichts mit den Empfinden der einzelnen Menschen zu tun, die abgesehen von jeder denkbaren politischen, ideologischen oder einer anderen Einstellung, ihre ganz aktuelle Problemen lösen müssen. Auf der politisch – historischen Ebene der Bewertung wird sich nichts ändern wenn jemand ganz ehrlich zugibt. Er (sie) verstehe dies und ehrlichst befürwortet, aber es ändert nichts und mildert auf keine Weise das Scheitern vieler persönlichen Schicksalen oder mindestens Zweifeln über manchen Ursachen weckt.
Nur dieses Empfinden hat sehr oft nichts mit der Bedeutung der Veränderung und kann objektiv nicht mit den politischen Folgen der Wiedervereinigung erklärt werden. Viel komplexer sind die Wege des einzelnen und gemeinsamen historischen Daseins, aich in einem getrennten und wiedervereinigtem D.
dasmanuel
Juni 3, 2015 at 10:54 am
Der deutsche Staat entwertet ‚Ossis‘ jeden Tag … unterbewusst (eventuell doch ganz bewusst?) werden diese durch Mechanismen wie bsplw. die Aufrechterhaltung des Solidaritätszuschlags (der interessanterweise gar nicht zur Unterstützung der ’neuen‘ Bundesländer eingeführt wurde, aber vom gemeinen Bürger so verstanden wird) in der Vorstellung des deutschen Volkes tagtäglich herabgewürdigt.
Ossi-Witze finde ich übrigens klasse. Sehr beliebt ist auch die Nachahmung der örtlichen Dialekte. 😉