In den letzten Wochen fällt es mir sehr schwer, meine Meinung zu den verschiedenen Themen in Form eines Blogartikels zu formulieren. Das ist sehr ungewöhnlich für mich und für diesen Blog, nach dem ich im letzten Jahr über 250 Artikel geschrieben hatte.
Allein, es fehlt mir momentan die Inspiration. Themen gibt es viele. Aber über vieles habe ich bereits geschrieben. Doch verändern sich Meinungen mit der Zeit und darum gäbe es Grund genug auch solche Themen wieder aufzunehmen, anders zu betrachten oder zu vertiefen. Meine mangelnde Inspiration hat also nichts mit dem umfangreichen Fundus an Artikeln auf diesem Blog zu tun. Es hat andere Gründe….
Ich bin momentan sehr mit meiner Promotion beschäftigt. Es ist sehr stressig. Trotzdem versuche ich in meiner Freizeit meinen anderen intellektuellen Interessen nachzugehen, so gut es geht. An Eindrücken und äusserem Input liegt es nicht, dass ich jetzt seltener schreibe. Und doch hat es mit dem allgemeinen Stress zu tun. Denn dieser hindert mich an einer tiefergehenden Reflexion über die Dinge, die ich um mich herum wahrnehme. Wenn man so will leide ich ein wenig darunter, dass ich zu viele Dinge nur oberflächlich durchdringen kann. Und dies ist nicht die Grundlage, um anderen seine Meinung dazu mitzuteilen.
Es gibt um uns herum eine Vielzahl von Themen / Problemen, die mich tief im Innern bewegen. Aber ich sehe ein, dass ich zu vielem nur eine grobe Meinung, aber selten richtig konstruktive Kritik beisteuern kann. Also, was soll ich mich dann dazu äussern. Zu Beginn dieses Blogs habe ich das nicht so gesehen. Da wollte ich zur Diskussion anregen.
Aber jetzt habe ich mehr und mehr den Eindruck, dass wir ohnehin viel zu viele Informationen täglich durch die Waschtrommel drehen: wir lesen sie (oberflächlich), reden darüber (ohne die Absicht damit ein Ziel zu erreichen), haken sie ab und fangen den Zyklus von vorne an, mit irgend einem anderen Thema. Bla, bla, bla …. nächstes Thema …. bla bla bla …. nächstes Thema …. bla bla bla.
Deshalb ist meine Rubrik „Rückblick / Weitblick“ mir eine der liebsten Kategorien. Ich möchte auf wichtige Themen hinweisen, die wir kurzfristig immer wieder aus den Augen verlieren und zu wenig beachten.
Momentan höre ich „Sophies Welt“ als Hörbuch. Vor Jahren (als Teenager) hatte ich bereits das Buch gelesen. Es ist schön, wie Jostein Gaarder mit diesem Buch einen Abriss über die Geschichte unserer Kultur und der Philosophie gibt. Aber leider bemerke ich, dass ich mir nur wenige Konzepte merken kann. Irgendwie ist mein Gehirn voll und nimmt kaum noch neue Dinge auf. Oder kommt mir das nur so vor? Oh mein Gott, wenn ich daran denke, was ich in meinem Leben schon alles gewusst hatte, aber doch wieder vergessen habe (inkl. mehrerer Sprachen), dann frage ich, ob das noch mit rechten Dingen zugeht. Ich würde mich nicht mehr als lernenden, sondern als verlernenden Menschen bezeichnen und das ist keine schöne Selbsterkenntnis.
Dabei drückt dies — die Tatsache nämlich, dass mir meine Erinnerungen entgleiten wie sich die Sandkörner durch das Loch in einer Sanduhr verflüchtigen — gut aus, was allgemein für unser Leben gilt. Alles ist im Fluss, nichts bleibt beständig und kaum etwas können wir festhalten.
Jetzt bin ich fast ein wenig vom Thema abgekommen. Aber nur fast. Denn am Ende ist auch ein solcher Blog wie eine Art Tagebuch, in dem etwas von uns hängen bleibt. Das gilt nicht bloss für meine eigenen Gedanken, sondern insbesondere auch für die Kommentare, die Ihr hier hinterlasst / hinterlassen habt. Und dieser Gedanke macht mich fröhlich 🙂
Euer tinyentropy
marien86
März 1, 2013 at 5:51 pm
Hallo tinyentropy,
meinem Empfinden nach spricht aus deinem Text mehr als nur mangelnde Inspiration. Es erinnert mich ein wenig an Faust. Der wollte auch alles wissen. Als er dann alles wusste, fand er keine Befriedigung.
Wie viel Wissen, Erkenntnis und Bildung wirklich nützlich sind kann eh Niemand bestimmen. Und ja, wir vergessen. Wir lernen neu und wir rollen den Stein des Sisyphos. Weiter und weiter und weiter. Das macht den (post)modernen Menschen unbefriedigt. Denn wir haben eine klares Ziel vor Augen! Wenn wir es nicht erreichen, beginnt ein Infragestellen. Dies scheint in deinem Artikel ein Stück weit durch. Ich müsste meinen Interessen alle nachkommen, ich müsste meine Persönlichkeit voll entfalten. Wenn ich dies nicht schaffe, produziere ich meine eigene Enttäuschung.
Da spricht doch ein wenig ein Egotrip des (post)modernen Menschen. Wir fahren ihn alle, irgendwie. Dabei zeigt die Geschichte von Sisyphos, dass es anders geht. Kluge Menschen der Gegenwart haben sie so interpretiert, dass es in Ordnung ist wenn Sisyphos seinen Stein ständig schleppen muss. Er weiß, dass dies sinnlos ist. Aber gerade diese Sinnlosigkeit gibt ihm Zufriedenheit.
Das ist natürlich kein Plädoyer für Müßiggang. Wir können und müssen produktiv sein! Wir sind aber keine Computer, die eine vollständig konsistente Arbeitsweise vorzeigen müssen. Wir können uninspiriert sein, wir können an die Decke starren. Dennoch kann sich daraus etwas produktives ergeben.
Du sagst, wir nehmen zu viele Informationen auf, wir rezipieren zu oberflächlich. Dadurch würde ein Sisyphos-Prozess in Gang kommen, wir würden nur auf der Stelle treten. Das sei gefährlich! Die Schweizer haben jahrzehntelang um die Einführung des allg. Frauenwahlrechts gerungen. (meiner Erinnerung nach) ging mindestens eine Volksabstimmung verloren. Erst nach weiteren Anläufen fiel die Abstimmung für das Frauenwahlrecht aus.
Vielleicht bin ich im Herzen doch etwas konservativer als mir lieb ist. Aber dieses „Fortschritt sofort!“ bei uns Linken geht mir allmählich etwas auf die Nerven. Themen kommen und gehen. Das war schon bei den alten Griechen so, auf ihrem Marktplatz. Antworten warten auf die richtigen Fragen, der Zufall ist beständig, das Vergessen weckt Erinnerungen.
Ich hab gerade eine alte Star Trek Folge gesehen. Wo ein Großcomputer mittels Telepathie über eine Bevölkerung herrschte. Es gab dort keine Diskurse. Der Computer speicherte alles und entschied rational. Es gab auch keine Fragen, kein Zufall, keine Inspiration -> keine Seele. Die Pointe war: wer nur das Gute will, schafft auch das Schlechte. Denn der Computer hat seelenlose Zombies erschaffen. Die waren zwar „gut“, hatten aber keine „Seele“ mehr. Der Computer hat in bester Absicht ein schlimmes Verbrechen verübt: er hat seelenlose Zombies geschaffen!
Meine Meinung: der Sisyphos zeigt eine wichtige Eigenschaft auf – Redundanz. Aber sie macht uns zu erst beseelten Wesen! Zehn Debatten können redundant sein, die elfte bringt uns weiter! Uns fehlt zehn Tage lang jegliche Inspiration, am elften Tag küsst uns die Muse. Zehn Tage lang ringen wir um die richtige Antwort, dann kommt die Frage, wo wir unsere passende Antwort finden.
Das vergessen wir leider in unserer (post)modernen Sichtweise.
Gruß, David Marien
tinyentropy
März 2, 2013 at 6:31 pm
Hallo David,
ja, ich fühle mich wie Sysiphos. Das hast Du richtig erkannt. Es stimmt, dass ich sozusagen ein Bildungsziel für mich vor Augen habe und mich diesem nicht wirklich nähern kann. Sicher ist es richtig, dass man sich damit selbst keinen Gefallen tut und es locker sehen sollte.
Immer wieder läuft alles auf unsere Erwartungen hinaus. Darüber will ich bald schreiben. Ich habe das Thema ja schon mal angerissen:
https://tinyentropy.com/2013/01/07/alles-hat-seine-zeit/
Im Zusammenhang mit meinen Äusserungen musste ich an die Philosophie von David Hume denken, der zu Folge wir kein konstantes Ich / Selbst haben, sondern ein fliessendes Konzept sind. Wir und unser Leben sind wie eine Theaterbühne, ein Strom von einzelnen Episoden und der Versuch daraus einen Plot zu interpretieren. Wie gesagt, alles fliesst. Das gilt auch für uns selbst.
Es gibt durchaus Menschen, die sich viel besser an Dinge erinnern können. Und ich meine hier historische, autobiografische Erlebnisse. Leider sind diese Erinnerungen alles, was uns ausmachen. Und deshalb ist Vergesslichkeit eine wirklich beängstigende Angelegenheit.
Was die notwendigen Iterationen hin zu einem verbesserten / optimierten Zustand betrifft, hast Du ebenfalls völlig Recht. Man denke an das Waldsterben von 20-30 Jahren, oder die verdreckten Flüsse. Damals hat es kaum jemand gekümmert. Heute ist die Gesellschaft endlich gereift und nimmt Naturschutz ernst.
So lange wir die Dinge nur aus der Perspektive unserer begrenzten Lebensspanne betrachten, werden wir zwangsläufig die Bedeutung von grösseren Zusammenhängen übersehen. Dagegen hilft nur, seine eigene Perspektive mit historischen Perspektiven und denen anderer Mitmenschen anzureichern und zu überprüfen.
Viele Grüsse
Pfeffermatz
März 1, 2013 at 7:05 pm
Viel Glück und Durchhaltevermögen wünsche ich dir für deine Promotion. Ich habe den Stress auch durchgemacht, bei mir was das zum Schluss echt kein Spaß mehr. Naja, dafür hat man ein Leben lang was davon, nämlich den Titel.
tinyentropy
März 2, 2013 at 12:05 pm
Vielen Dank! 🙂 Ja, als Spaß würde ich es schon länger nicht mehr bezeichnen. 😉