Immer wenn ich Guido Westerwelle in den Nachrichten sehe, fühle ich mich überrascht. 'Für wahr, das ist ja unser Außenminister! Habe ich ganz vergessen.', denke ich dann.
Ich möchte nicht sagen, dass Guido Westerwelle in seiner Funktion einen schlechten Job macht. Mal abgesehen von Deutschlands Enthaltung bei dem Libyenkonflikt, mit der ich überhaupt nicht einverstanden war.
Ich finde es bloß erstaunlich, wie konsequent Hr. Westerwelle seiner Selbstverpflichtung (wenn es eine ist) folgt und sich vollständig aus der Innenpolitik heraushält. Beachtlich.
Prinzipiell ist es positiv, wenn ein Politiker nicht durch alle Talkshows tingelt und sich beim Klein-Klein der Parteienpolitik heraushält. Aber Guido Westerwelles Abstinenz von der gesamten deutschen Innenpolitik stimmt mich nachdenklich. Man kann doch ein Land nur dann nach außen hin wirksam und glaubhaft präsentieren, wenn man sich auch dem Dialog im Innern stellt. Wie seht Ihr das?
marien86
Januar 11, 2013 at 7:03 pm
Hallo Tinyentropy,
woher nimmst du eigentlich die Annahme, das die Glaubhaftigkeit und Wirksamkeit von Repräsentation mit der Innenpolitik verknüpft sei?
Man kann argumentieren, dass Teile der Außenpolitik, die Innenpolitik betreffen. Ist es aber nicht so, dass die Kanzlerin, der Wirtschaftsminister und ggf. der Entwicklungsminister diese Teile (schon immer) mit übernehmen?
Das Außenministerium, in allen Staaten, ist ein Überbleibsel einer klassischen Diplomatie des 18./19. Jahrhunderts. Diplomaten stellen ihren Staat nach außen als einheitlich agierendes Gebilde dar, dass souverän über sein Territorium bestimmt und seine Angelegenheiten selbst regelt. Wie geschrieben, alles etwas veraltet. Ein Diplomat nimmt die Innenpolitik eines anderen Staates natürlich wahr, er bezieht es in seine Bewertungen mit ein. Da aber die außenpolitischen Aussagen das eigentliche Gewicht haben wird sich auch darauf bezogen. Man setzt die Interessen nach außen durch. Für die inneren Interessen sind Andere verantwortlich.
Und ein ganz pragmatischer Grund: warum sollte Herr Westerwelle seine Zeit mit Innenpolitik vertreten, wenn seine Tage gezählt, der Aufwand dafür zu groß und die Diplomatenkollegen dies nur mittelbar zur Kenntnis nehmen?
Ich maße mir nicht an zu bewerten, nach welchen Kriterien Diplomaten die Glaubhaftigkeit und Wirksamkeit von Repräsentation bewerten. Deine These, man könne ein Land nur durch einen innenpolitischen Dialog nach außen hin wirksam und glaubhaft präsentieren, kann nur bewiesen werden, wenn wir die Bewertungskriterien der Diplomaten kennen. Nicht wir Bürger sind die Adressaten der Diplomatie – sondern Diplomaten!
Wenn du gefragt hättest „wie empfindet ihr seine Amtsführung“ hätte ich was schreiben können.
Wie oft hätte Herr Westerwelle denn in Talkshows auftreten sollen? Was ist denn ein angemessener innenpolitischer Dialog für einen Außenminister? Soll er seinen angeschlagen Kollegen Rößler möglicherweise dupieren? Nach langem überlegen finde ich auf meine Fragen keine Antwort. Es mag seltsam sein, dass Westerwelle nach innen so ruhig ist. Bisher wurde aber kein Beweis erbracht, dass der BRD dadurch ein Schaden zugefügt wurde. Wie hoch ein zusätzlicher Nutzen wäre, ist reine Spekulation.
Die Libyen-Enthaltung kann man aus verschiedenen Perspektiven betrachten. Konsequenzethiker würden (zugespitzt) argumentieren, dass wenn durch einen Militäreinsatz auch nur ein Menschenleben zusätzlich gerettet würde, dieser Einsatz legitimiert wäre. Pflichtethiker würden hier entgegenhalten, dass jedes Menschenleben (auch die beteiligten Soldaten) so kostbar ist, dass die Pflicht besteht es zu beschützen. Diese beiden entgegengesetzten Ethiken zeigen das Problem der Diplomatie auf. Wie sieht ein angemessenes Mittelmaß von Diplomatie hier aus? Ich bewege mich hier nicht mal auf dem der Realpolitik wo es 1000 Schattierungen gibt.
Deshalb vertrete ich eine radikale Auffassung: keine Waffen, keine Armeen! Natürlich ist dies die Forderung nach einer idealen Welt. Wenn ich anfange die Libyen-Enthaltung zu kritisieren, lassen sich genügend Punkte aus 60 Jahren Diplomatie finden, die ich genauso stark oder noch stärker kritisieren muss. Diplomatie wird so verachtenswert, weil sie verachtenswerte Ergebnisse produziert!
Wir sollten uns die Ergebnisse von Diplomatie (wenn sie denn offen vorliegen) anschauen. Ob ein Außenminister durch innenpolitischen Dialog seine außenpolitische Stellung erhöhen kann ist so relevant wie die Meldung, dass Paris Hilton ein neues Hündchen hat.
Es gibt halt wichtige und wichtigere Dinge.
Gruß, David
tinyentropy
Januar 11, 2013 at 7:20 pm
Es ist doch klar, dass Hr. Westerwelle sich auf den Posten des Außenministers zurückgezogen hat, nachdem er von allen Seiten aus der Öffentlichkeit als FDP-Vorsitzender kritisiert worden war.
Dies ist den gut informierten Diplomatenkreisen im Ausland natürlich auch bekannt und könnte als persönliche Schwäche Westerwelles ausgelegt werden.
marien86
Januar 11, 2013 at 7:42 pm
Es kann alles Mögliche als persönliche Schwäche ausgelegt werden. Die Frage ist: könnte diese persönliche Schwäche das Ansehen bzw. die Durchsetzungsfähigkeit der BRD gefährden?
Spekulation: gut informierte Diplomatenkreise gewichten diese Schwäche wenig bis überhaupt nicht, weil die BRD bzw. die Bundesregierung als deren Vertreter, derart stark positioniert ist, dass man diese Westerwelle-Karte kaum spielen wird. Wir wissen nicht mit welcher pers. Willenstärke Westerwelle seine Positionen vertritt. Ich könnte argumentieren, Westerwelle gleiche durch Willenstärke seinen Makel wieder aus. Ich kann dies nicht beweisen, du wirst deine These genauso wenig beweisen können. Wir haben keinen Zugang zu Diplomaten.
Gruß, David
tinyentropy
Januar 11, 2013 at 8:17 pm
Ja, das „könnte“ ist die klare Schwäche in meiner Meinung. Wollte bloß mal wissen, wie Ihr es seht. Und was Du sagst, überzeugt mich.
Trotzdem denke ich an die Zeiten, als unsere Außendelegationen sich in Russland bei den diplomatischen Verhandlungen als handfeste Trinker beweisen mussten. Soll heißen, die handelnden Personen und ihre Autorität sind von Bedeutung. Es geht nicht nur um das Land, das repräsentiert wird.
Wenn sich ein Außenminister entgegen seiner früheren Gewohnheiten konsequent aus allem heraushält, weil er überspitzt formuliert „das eigene Volk fürchtet“, wirkt das schwach. Ich empfinde es jedenfalls so. Scherzhaft könnte man natürlich sagen, dafür entstünde eben der Eindruck, „man müsse vor dem deutschen Volke zittern“. Aber das soll bitte nicht ernstgenommen werden.
Gruss
marien86
Januar 11, 2013 at 9:33 pm
Du kennst doch sicher das Sprichwort „Der Klügere gibt nach“ Es kann sich als strategisch weitsichtig erweisen, in bestimmten Situationen Schwäche zu zeigen. Man animiert seine Mitmenschen dazu, unterschätzt zu werden. Fr. Merkel ist eine Meisterin dieser Strategie. Wie sehr Herr Westerwelle strategisch handelt wage ich nicht zu beurteilen. Was soll Westerwelle denn noch gewinnen, wenn er sich, wie auch immer, in die Innenpolitik einmischt. Ich gebe dir Brief und Siegel: nach der Bundestagswahl wird er seinen prominenten Platz im FDP-Parteipräsidium behalten. Wie sich Rösler und ggf. Brüderle schlagen werden, wir wissen es nicht! Es besteht eine Wahrscheinlichkeit, dass Westerwelle ein Stück weit wieder aufgewertet wird.
Es geht in der Politik nicht nur darum, was du Wähler denkst. Es geht auch darum institutionelle Arrangements zu beeinflussen: Listenplätze bei Wahlen, mediale Präsens, Mobilisation der Parteibasis bzw. (und gerade) Parteielite uvm. Je länger ich drüber nachdenke, desto mehr fällt mir mir auf, der Westerwelle ist ausgefuchst! Er schaut zu wie Rößler verbrennt, Brüderle droht anzukokeln, Lindner sich vorerst zurückhält. Weder wird er in die Geschichtsbücher als Außenminister eingehen, noch hat er es vergeigt! Er hat die beste Ausgangsposition von allen FDPlern. Sicher, er wird kein Parteivorsitzender mehr. Er wird aber unverzichtbar bleiben, in der FDP. Und das ahnen auch gut informierte Diplomatenkreise. Westerwelle fürchtet das dt. Volk nicht! Westerwelle wird Wähler so betrachten wie alle Politiker: als Potential der Maximierung von Einfluss. Dieses gilt es unter Berücksichtigung institutioneller Arrangements zu beachten.
Du solltest mal „Politik als Beruf“ von Max Weber lesen. gibts bei Wikipedia als Download. Fast hundert Jahre alt, trifft die Realität aber punktgenau. Der Abschnitt über „Stellenjäger“ und „Parteibürokratie“ zeigt dies auf.
Gruß, David