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Warum unser universitäres Bildungssystem versagt

29 Feb

Es ist spannend sich über unser universitäres Bildungssystem Gedanken zu machen. Deutschland konnte sich lange Zeit einer exzellenten Ausbildung seiner Studenten rühmen. Das belegt die Beliebtheit deutscher Absolventen bei ausländischen Grossprojekten und Firmen.

Doch ist unser Bildungssystem auch ein träger Moloch, dem die Interessenskonflikte der einzelnen Länder gewissermassen Fussfesseln angelegt haben. Die Umstellung auf das Bachelor-Master-System wurde zu schwerfällig durchgeführt. Ich selbst war Student in einem der ersten Bachelorstudiengänge in Deutschland. Damals konnte ich erleben, wie unterschiedlich das Engagement der Unis war, dieses neue Konzept anzunehmen und zu einem Erfolg zu führen.

An meiner ersten Uni wurde das Projekt Bachelor engagiert angegangen und als Chance wahrgenommen. Die Uni versprach sich dadurch mehr Zulauf von Studenten. Der Studiengang wurde in Zeitungen beworben und ein völlig neuer Lehrplan konzipiert, der ein gestrafftes Lernen ermöglichte. Kompakte Vorlesungseinheiten am Vormittag, danach Übungen. Dabei möglichst keine Freistunden dazwischen, um dadurch mehr Zeit am Nachmittag für die Nachbereitung des Stoffs und das Lernen zuhause freizuhalten. In gewisser Weise war der Studiengang dadurch natürlich verschult. Aber ich denke, im Sinne von gut strukturiert! Und in diesem Sinne halte ich es für etwas positives.

Ein Jahr später habe ich die Uni gewechselt und erlebt, dass der Bachelorstudiengang dort wie ein ungewolltes Kind behandelt wurde. Die Vorlesungen wurden ohne Sinn und Verstand aus dem Diplomstudiengang übernommen. Es kam nicht darauf an, ob sich ein wohlgeformter Stundenplan dabei ergibt. Es resultierten viele zeitliche Überschneidungen der Vorlesungen. Dennoch wurde den Studenten aufgezwungen, bestimmte Vorlesungen als Teil der Module zu absolvieren. Alles wirkte chaotisch und schlecht strukturiert. Dabei begann dieser Bachelorstudiengang 1 Jahr später als an meiner vorherigen Uni. Um dem Unmut der Studenten zu begegnen, wurden zum Schluss einfach die Anforderungen gesenkt, anstatt die Struktur des Lehrplans zu verbessern. Auch die Fachschaften erwiesen sich als überfordert und waren kaum bereit, sich um die Bachelorstudenten zu kümmern.

Bachelor- / Masterstudium – Das Konzept

In einem Bachelorstudiengang geht es darum, in knapp 3 Jahren für einen Beruf qualifiziert zu werden und gleichzeitig die Grundlagen wissenschaftlicher Forschung zu erlernen. Eine Vertiefung der Arbeit als Wissenschaftler folgt dann in Form des Masterstudiums. So lautet das Konzept, meines Wissens nach. Aber an der Umsetzung hapert es bei vielen Unis!

Meiner Meinung nach müsste der Bachelorstudiengang (Bachelor of Science) den Fokus auf solide Grundlagen in den Kerndisziplinen Mathematik, Physik, Chemie, Elektrotechnik (je nach Schwerpunkt) legen. Eine Ausdifferenzierung der soliden Basis-Kompetenzen sollte dann in den ersten Berufsjahren oder im Masterstudium folgen. Die meisten Firmen haben ohnehin Erfahrung darin ihre Mitarbeiter für Firmen spezifische Belange nachzuschulen, wie es bei Ausbildungsberufen der Fall ist. Falls nun die Hochschulabsolventen nach ihrem Bachelorstudium ausreichend kompetent in den Kernbereichen wären, würden sie beim späteren Erlernen spezieller Fertigkeiten keine Probleme haben und dies im Beruf schnell nachholen können.

Ein anderer wichtiger Kernpunkt ist die Praxiserfahrung in Form eines Praxissemesters, also eine Art Intensivkurs. Dies war an meiner ersten Uni bereits in den Lehrplan integriert, an der zweiten Uni nichts davon, kaum Praxis.

Ich denke auch, das Ziel in nur 3 Jahren eine Berufsqualifizierung zu erreichen macht eine Abkehr von der klassischen Semesteraufteilung notwendig. Es muss in kurzer Zeit viel gelernt werden. Dabei ist die intensive Betreuung durch Tutoren wichtig.

Die Probleme bei der Umsetzung

Leider läuft es indes nicht so. Die Unis tendieren klar dazu die Bachelorstudiengänge hochgradig zu spezialisieren. Das Resultat sind Studiengänge wie „kognitive Informatik“, „Humangenetik“ und noch absurdere Spezialformen klassischer Studiengänge. Dieser Trend ist falsch! Der Bachelorstudiengang soll sich auf Grundlagen der jeweiligen Fächer konzentrieren. Das wäre viel sinnvoller.

Abgesehen davon ist es für Studienanfänger schwierig sich in dem Wirrwarr aus neuen Studiengängen zurecht zu finden! Wer soll „kognitive Informatik“ von „Neuroinformatik“ unterscheiden können, bevor er die Grundlagen der Informatik und der Biologie in einem die Grundlagen legenden Studium erlernt hat. Viele Leute wissen selbst nach ihrem Grundstudium noch nicht, welchen Schwerpunkt sie für das Hauptstudium wählen sollen!

Der letzte Punkt ist, dass aufgrund der vielen Spezialvorlesungen die individuelle Vertiefung im Bachelorstudium zu kurz kommt! Die Studenten müssen sich zeitnah zu den Vorlesungen des Semesters auf sehr viele Spezialprüfungen parallel vorbereiten, da dies die Auslegung vieler Unis der Form eines verschulten Bachelorstudiengangs ist. Die einzelnen Klausuren sind oft nicht sehr schwierig (multiple-choice) und die Studenten kloppen sich nur oberflächliche Inhalte für 4-8 Klausuren parallel in den Kopf. Besser wäre es, sich vernünftig auf wenige, aber gewichtige, Themen vorbereiten zu können. Direkt nach der Klausur werden alle Inhalte auch schon wieder vergessen sein, denn sie wurden rein zweckgebunden gelernt und nicht aus einer Lernmotivation heraus.

Aus der Innenbetrachtung heraus ist unser Bildungssystem eine Katastrophe! Die Studenten heutzutage sind wegen dieser Fehler der Länder und Unis überfordert und die Qualität der Abschlüsse leidet darunter. Das ist sehr schade, vor allem, weil viele asiatische Länder mit sehr effizienten Bildungssystemen voranschreiten.

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6 Antworten zu “Warum unser universitäres Bildungssystem versagt

  1. hjm

    Februar 29, 2012 at 9:40 pm

    Als ich „gestrafftes Lernen“ las, sah ich die Gesichter von Cher und Chiara Ohoven vor mir. Und was noch schlimmer war: Die nachfolgende Beschreibung bestätigte diese Assoziation.

     
    • tinyentropy

      Februar 29, 2012 at 10:40 pm

      eine falsche assoziation, die so nicht beabsichtigt war. danke für den hinweis! 😉

       
  2. Donut

    Februar 29, 2012 at 11:52 pm

    Das mit der übertriebenen Spezialisierung schon beim Bachelor (und auch Master) kann ich leider bestätigen. An meiner Fakultät wurde mit der Umstellung auch eine Flut an Studiengängen losgetreten, die für sehr viel Verwirrung gesorgt hat. Aber als regulärer Student musste man sich vorher entscheiden, was man macht.
    Die Folge war, dass im Haupstudium in jedem einzelenen Studiengang kaum genug Studenten waren, um die Vorlesungen und Labore stattfinden zu lassen. Der erste Jahrgang war besonders deutlich. Von 120 Erstsemestern wurden sieben (!) in Regelstudienzeit fertig – verteilt über 5 Studenrichtungen. Glücklicherweise hat die Hochschule (seinerzeit noch „FH“ genannt) daraus gelernt. Nach intensiver Kommunikation mit Studenten und Professoren wurde die Struktur so geändert alle Studierende in ein Studiengang aufzunehmen. Eine Spezialisierung erfolgt nach dem 3. Semester. Dann, wenn die Studenten auch wissen, was die Studiengänge unterscheidet. Die Leidtragenden sind – mal wieder- die „Versuchsjahrgänge“ des Bachelor, zu denen ich mich leider auch zählen muss.

     
  3. marien86

    März 10, 2012 at 12:45 pm

    Hallo tinyentropy,

    kann den Inhalt deines Artikels nur bestätigen, danke für deinen Hinweis darauf. BA und MA ist das Eine, die Finanzierung der Hochschulen das Andere, auch wenn beides natürlich miteinander zusammenhängt. In Brandenburg hatten die Hochschulen schon Finanzierungsprobleme, da gab es noch keinen Bologna-Prozess.

    An den Finanzierungsproblemen wird sich leider nicht viel ändern, man kann ja Geld nicht einfach her zaubern. Gut, die EZB kann, wer zu viele Geister ruft, wird sie nicht wieder los. Na ja, anderes Thema 🙂

    Gruß, David Marien

     
  4. gumbofroehn

    Mai 29, 2013 at 9:20 am

    Gute Symptombeschreibung. Man würde sich allerdings zu sehr einen schlanken Fuß machen, wenn man das alles dem Bologna-Prozess in die Schuhe schieben würde.

    Ich kenne beide Systeme, das „gute alte“ Diplom aus meiner eigenen Studienzeit (na ja, aus heutiger Sicht war es wohl mehr „alt“ als „gut“) und das gestufte System aus Bachelor und Master in seiner Fachhochschul-Inkarnation als Lehrender.

    Grundsätzlich ist festzustellen, dass die Universitäten und Fachhochschulen an den Prozess mit sehr unterschiedlichen Motivationen herangegangen sind:

    Viele Universitäten hatten keinerlei Interesse hatten, den Bachelor wirklich zu einem vollwertigen berufsqualifizierenden Studium auszubauen. Oft wurde kaum mehr getan, als die ersten fünf bis sechs Semester des alten Diplomstudiums per Copy und Paste plus Bachelorarbeit in eine neue Prüfungsordnung zu klatschen. Der Master wurde dann aus dem Rest der Fächer plus Masterarbeit zusammengestrickt. Fertig war der alte Diplomstudiengang im neuen Gewand (mit der impliziten Notwendigkeit bis zum Master zu studieren, weil manch wesentliches Fach im Master gelandet ist).

    Die Fachhochschulen konnten dagegen vielfach die alten Diplomstudiengänge um ein Praktikumssemester kürzen (es war dann immer noch eins da) und konnten somit im Bachelor ein Ausbildungsangebot machen, welches dem „alten“ FH-Diplom sehr nahe kommt. Dazu kommen jetzt nach und nach immer mehr Masterstudienangebote, die das Ausbildungsangebot der Fachhochschulen gegenüber der „alten Welt“ deutlich ausweiten.

    Die Konsequenz aus der Stufung ist, dass sich die Profile von Universität und Fachhochschule zunehmend annähern. Die starre Trennung der beiden Ausbildungswege (Universitätsdiplom, Fachhochschuldiplom), die vielfältige Konsequenzen nach sich Zug (z. B. Zulassung zur Promotion, Einstufung im öffentlichen Dienst), existiert so nicht mehr. Dass bei einem solchen Prozess sich die Universitäten als Verlierer und die Fachhochschulen als Gewinner betrachten, verwundert nicht weiter.

    Entsprechend groß ist das Interesse bei den Universitäten, zu zeigen, dass Bologna nicht funktioniert.

    Dazu kommt auch noch die nicht immer segensreiche Wirkung der Akkreditierung. Vieles, was an aktuellen Bachelorstudienangeboten kritisiert wird (wie z.B. die überzogene Spezialisierung) ist Ergebnis von Akkreditierungsauflagen.

    Schließlich darf man die Eigeninteressen der Lehrenden nicht aus dem Blick verlieren (die sich durch die W-Besoldung auch deutlich verändert haben): Diese bekommen Leistungszulagen an vielen Universitäten und Fachhochschulen primär anhand von Forschungsoutput und Drittmitteleinwerbung. Wer „nur“ Lehre macht, hat im Rektorat den Stellenwert von Fußpilz (das klingt jetzt hart, es ist aber leider so). Die Zeit und Kraft, die in die Lehre gesteckt wird, kann nicht mehr in Forschung und Praxiskooperation gesteckt werden. Entsprechend wird die Lehre möglichst aufwandsoptimiert gefahren. Ergebnis: Frontalvorträge, Verschulung, Abfrage von Faktenwissen (ist sehr viel leichter zu bewerten und bei großen Gruppen im Grundstudium aus reinem Selbstschutz nicht anders möglich).

     

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